lichtfest in leipzig

seit jahrzehnten wird geworben
seit monaten geplant
seit tagen wird gewarnt:
in leipzig soll erinnert werden

an den beginn einer geeinten zeit
ohne teilung, wie es zynisch heißt
für die wendegewinner
und -verlierer zugleich

ich muss gehen
weil busse und bahnen
so scheiße fahren
und leipzig
heute eine
so geteilte stadt ist
und leipzig
heute eine
so geeinte stadt ist
dass es nicht einmal
geteilte autos gibt

30 jahre einheit ist
kein anlass zur feier mehr
sondern zur warnung

das schreit doch bände
gegen einen himmel
dem tausende hände
ihre hellen lichter
einheitlich entgegenwerfen

zu hause hat irgendeine
sau
ihr hurensöhne
auf
meinen briefkasten
geschmiert

und der präsident will
einen „selbstbewussten blick auf
unser eigenes land“
im leipziger licht

während in halle ein rechter
auf eine synagoge schießt
was ohne selbstbewusstsein
gar nicht möglich wäre

(Oktober 2019)

Ein Österreicher über Österreich – Ein prophetischer Einwurf

„Diese immer dümmer werdenden Regierungen, die wir hier in Österreich haben, werden schon mit der Zeit dafür sorgen, daß es in Österreich bald keinerlei Kultur mehr gibt, nur noch das Banausentum, sagte Reger. Die Atmosphäre hier in Österreich wird immer kulturfeindlicher, von Jahr zu Jahr wird sie kulturfeindlicher und alles spricht dafür, daß in nicht allzu langer Zeit Österreich ein vollkommen kulturloses Land ist […] Das Kulturlicht wird ausgelöscht in Österreich, das sage ich Ihnen, der Stumpfsinn, der in diesem Land schon so lange herrscht, löscht in nicht allzu langer Zeit das Kulturlicht aus. Dann ist es finster in Österreich, sagte Reger. Aber Sie können sagen, was Sie wollen in dieser Hinsicht, Sie werden nicht gehört und wenn Sie gehört werden, hält man Sie für einen Narren […] Schade, daß ich das nicht mehr erlebe, wie nämlich die Österreicher im Finstern tappen, weil ihr Kulturlicht ausgegangen ist. Schade, daß ich daran nicht mehr teilnehmen kann, sagte er.“

Thomas Bernhard (1931 – 1989), Alte Meister, 1985, S. 183f.

Das Kantholz – Ein Einwurf

Es ist relativ selten, dass Sprachwandel – diese ominöse, vom Konservatismus so sehr verhasste, von progressiven Kräften dafür zuweilen umso heißer herbeigesehnte, -gewünschte und -geschriene kollektive Kraft der menschlichen Kommunikation – ganz unmittelbar und live in action beobachtet werden kann. Es müssen einige Faktoren zusammenkommen, dass eine gesamten Gruppe von Menschen bemerken kann, dass sie Zeug*innen einer semantischen Verschiebung geworden sind, und sie sich selber bewusst werden können, dass die Bedeutung eines Wortes, die ihnen gestern auf eine Art und Weise klar war, sich heute in eine möglicherweise ganz andere Art und Weise verwandelt hat. Starke emotionale Kollektivreaktionen können das vielleicht erreichen, wobei diese eher in symbolistischen Metaphern und begrifflich kryptischen Wortneuschöpfungen oder Repräsentationen, wie 9/11 für so etwas wie Terrorismus oder Fukushima für die Gefahr der zivilen Nutzung von Kernenergie, münden, die den gesellschaftlichen Wortschatz eher erweitern als morphen. Darüber will ich aber gar nicht schreiben. Schreiben will ich über eine andere Form des Sprachwandels – die der semantischen Erweiterung, bei der einem bereits bestehenden Begriff eine neue Bedeutung zugeschrieben wird, die praktisch diesen Begriff um eine zusätzliche Dimension ergänzt; eine neue Ebene, die den Begriff vielschichtiger macht. Spannend, ja, aber wie sollst du dir das jetzt im Detail vorstellen? Um ein Beispiel zu geben, denke einfach an das Wort Kantholz, das bis vor wenigen Tagen ein unbescholtenes Dasein gefristet hat, und ein ruhiges Leben geführt hat, in einem Sprachspiel, das am ehesten Baumarkt-Jargon genannt werden könnte, und welches praktisch nie (und wenn dann von sehr wenigen nur) gespielt wurde. Wer – und ich behaupte niemand – hätte gedacht, dass dieses Wort, diese vielleicht langweiligste Bezeichnung eines einfachen Nutzgegenstandes, Kantholz, jemals das Potential gewinnen würde, intensive Lachkrämpfe auszulösen? Was ist passiert? Hybris, sage ich dir. Nicht nur eine starke emotionale Kollektivreaktion treibt den Sprachwandel, sondern auch der Versuch, diese durch Lügen und Betrügereien künstlich zu erzeugen. Wenn also jemand versucht, aus der Behauptung, einen feigen und brutalen Mordversuch mit einem sogenannten Kantholz nur knapp und glücklich überlebt zu haben (und der Begriff Kantholz wurde dabei mehrfach und auffällig betont, so auffällig oft, dass dieses sonst so unscheinbare Wort auf einmal gesellschaftliche Präsenz erlangte), emotionales Kapital zu schlagen, sich dann aber herausstellt, dass die Verletzungen durch einen Sturz nach einem Schlag auf den Rücken, ganz ohne Schlagwaffe, entstanden sind, dann gibt es ein gewisses gesellschaftliches Gespür dafür, diesen gescheiterten Versuch in das gesellschaftliche Gedächtnis zu integrieren und diesen gescheiterten Versuch an irgendetwas mit dem Vorfall Zusammenhängendes zu knüpfen. In diesem Fall hat es die Phantomwaffe, das dadurch jetzt berühmt-berüchtigte Kantholz, getroffen. „Aber ist das denn nicht einfach nur Schadenfreude?“ magst du fragen. Nein, sage ich dir. Wer das Kantholz so stark hobelt, darf sich danach nicht beschweren, dass auch Späne fallen. Bleibt noch die Frage, was sich nach diesem Vorfall eigentlich wirklich und tatsächlich verändert hat. Eigentlich nicht viel. Nur die Sprache hat sich leicht geändert, wie sie es schon immer getan hat.

(Januar 2019)