Aus ‚Sie kommen bei Nacht, bei Tag müssen sie gehen‘

Ich arbeite endlich mal wieder an einem Prosaprojekt – eine neue Kurzgeschichte. Als work in progress werde ich ab und zu ein paar Auszüge oder Ideen posten:

[…]

Zu Beginn der langanhaltenden Nacht hatten noch Fledermäuse ihre Kreise gezogen, und man hatte Eulen lautlos durch die Lüfte fliegen hören. Doch nun hatten die Insekten und die Mäuse und sogar die Ratten einfach aufgegeben. Sie verharrten nur noch dort, wo sie sich gerade zufällig ausgeruht hatten. Und mit ihnen hatten auch die Fledermäuse und Eulen nach zunächst zahlreichen langen, dann immer weniger werdenden und erfolgloseren kurzen Runden aufgegeben. Viele starben ohne Gegenwehr. Sie konnten keinen Widerstand leisten. Nicht einmal die schlauen Raben konnten aufbegehren. Sie hatten sich tief in die Wälder zurückgezogen. Und auch in den Städten war – lange nach dem letzten so vertrauten Gurren der Tauben – das Krächzen der Krähen verstummt. Niemand wusste, woher der Angriff stammte und niemand fragte. Der Angriff war Alltag geworden.

[…]


(April 2020 / Mai 2020)

lichtfest in leipzig

seit jahrzehnten wird geworben
seit monaten geplant
seit tagen wird gewarnt:
in leipzig soll erinnert werden

an den beginn einer geeinten zeit
ohne teilung, wie es zynisch heißt
für die wendegewinner
und -verlierer zugleich

ich muss gehen
weil busse und bahnen
so scheiße fahren
und leipzig
heute eine
so geteilte stadt ist
und leipzig
heute eine
so geeinte stadt ist
dass es nicht einmal
geteilte autos gibt

30 jahre einheit ist
kein anlass zur feier mehr
sondern zur warnung

das schreit doch bände
gegen einen himmel
dem tausende hände
ihre hellen lichter
einheitlich entgegenwerfen

zu hause hat irgendeine
sau
ihr hurensöhne
auf
meinen briefkasten
geschmiert

und der präsident will
einen „selbstbewussten blick auf
unser eigenes land“
im leipziger licht

während in halle ein rechter
auf eine synagoge schießt
was ohne selbstbewusstsein
gar nicht möglich wäre

(Oktober 2019)

The Interrupter

I was in a psychiatric hospital a couple of years ago. One day I was sitting in the atrium, with a friend, when this guy, let’s call him Bob, walked in with two orderlies. Bob was limping … he hasn’t done that before, I thought. He’d been a fellow patient of mine and some kind of a nut – I didn’t like him. He interrupted everyone – I didn’t like that. He’d been kicked out a few days earlier. He had boozed some ouzo and a couple of beers over the weekend to „calm down“, as he had said. He didn’t get away with that, though. So in addition to interrupting people, he has also interrupted his therapy, I thought.
We had already bid farewell after that and now he was back. But why? This was so awkward … I couldn’t even keep talking to my friend. I was paralysed – calm on the outside, but thinking all the time. Why was he back? Suddenly, I saw him waving – heaving-handedly.
„Hey“, he said.
„Hi“, I muttered, looking around, not really sure if he was talking to me. Why was he back?, I thought.
„I’m back … ward 4 … Say hello to Elaine“, he said. I couldn’t reply – still only wondered why he was back. Ward 4, ward 4, I thought – acute care unit, definitely, maybe even closed, I thought. Hospitalisation, I thought.
„You good?“, he asked – which … felt weird, given the context.
„Well, yeah, you?“, I uttered. He didn’t reply … and I got somewhat nervous as the seconds passed. Why was he back?
Then he raised his arm … all calm … and pulled the edge of his hand passed his throat, as if he was cutting his head off with his hand. Silence. That’s why he’s back, I thought.
„Didn’t work“, he said, all calm still.
I stared at him for what felt like minutes … frozen … gathering my thoughts.
„Nice … that … it … didn’t work“, I stuttered, now very worried about where this was going.
„Don’t think so“, he dropped and turned away, interrupting our conversation, as I should have expected.
Bob tried to interrupt his life, but unlike with conversations, he failed, I think now. And actually … I later found out that Bob’s suicide attempt had really been bound to fail. He went to park his car in some random park, connected the exhaust to the cabin, got really drunk, popped some pills, and started the engine. Bob was found, obviously. And now that I think about it – he must have wanted to … interrupt his own suicide … making him the ultimate interrupter.
Well, come to think about it … good for him.

(October 2019)

Ein Österreicher über Österreich – Ein prophetischer Einwurf

„Diese immer dümmer werdenden Regierungen, die wir hier in Österreich haben, werden schon mit der Zeit dafür sorgen, daß es in Österreich bald keinerlei Kultur mehr gibt, nur noch das Banausentum, sagte Reger. Die Atmosphäre hier in Österreich wird immer kulturfeindlicher, von Jahr zu Jahr wird sie kulturfeindlicher und alles spricht dafür, daß in nicht allzu langer Zeit Österreich ein vollkommen kulturloses Land ist […] Das Kulturlicht wird ausgelöscht in Österreich, das sage ich Ihnen, der Stumpfsinn, der in diesem Land schon so lange herrscht, löscht in nicht allzu langer Zeit das Kulturlicht aus. Dann ist es finster in Österreich, sagte Reger. Aber Sie können sagen, was Sie wollen in dieser Hinsicht, Sie werden nicht gehört und wenn Sie gehört werden, hält man Sie für einen Narren […] Schade, daß ich das nicht mehr erlebe, wie nämlich die Österreicher im Finstern tappen, weil ihr Kulturlicht ausgegangen ist. Schade, daß ich daran nicht mehr teilnehmen kann, sagte er.“

Thomas Bernhard (1931 – 1989), Alte Meister, 1985, S. 183f.

senfgelb und himbeerrot

gitarren malen in der himbeerroten luft
pastellne klänge tönen still – geschwind
zerlaufen sie im sommerwind
der friedlich deinen schönen duft
annimmt.

die nackten körper zittern beben stark und starr
wie äste senfgelb warmen pappellaubs
die nächte heißen sternenstaubs
befeuern lust und liebe – klar
und taub.

nelkengleich verführst du meine zunge
ein geschmack so zärtlich bitter süß und schwer
spült deinen lieben duft durch mund und herz.

und meine trüben sinne voller schmerz
wandeln wahnhaft bis in unsren lungen
atem sich vereint – wie sommerwind und meer.

(April 2018)